Herzlich Willkommen bei Horizont Bipolar – Von Betroffenen für Betroffene.
In diesem Blog Beitrag für Angehörige und Interessierte werde ich über die Symptome der Depression schreiben und versuchen, ein möglichst nachvollziehbares Bild der Gedanken- und Gefühlswelt zu beschreiben, basierend auf meinen persönlichen Erfahrungen.
Mein Name ist René, ich bin Bipolar Typ 1. Vielen Dank fürs lesen.
Im letzten Blog Beitrag, „Wie fühlt sich eine Manie an Teil 2“, habe ich über die manischen Symptome Reizbarkeit und aggressives Verhalten, Rasende Gedanken und Gedankensprünge, Rededrang und Redegeschwindigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Erhöhter Sexualtrieb und Enthemmtheit sowie über impulsives Verhalten geschrieben.
Das nachfolgende Zitat stammt von der US-amerikanischen Schauspielerin Juliette Lewis und bietet wie ich finde eine treffende Einleitung für dieses dunkle Thema.
Das Mutigste, was ich je getan habe, war weiterzuleben, als ich sterben wollte. - Juliette Lewis
DIE SYMPTOME UND WIE SIE SICH BEMERKBAR MACHEN
Eine Depression ist so ziemlich das Gegenteil einer Manie. Die Freude wandelt sich in Traurigkeit, das Interesse wird zu Belanglosigkeit, das Selbstbewusstsein verflüchtigt sich in Selbstzweifel, der extreme Antrieb und die schier unerschöpfliche Energie wechselt hin zu Trägheit und allgegenwärtiger Müdigkeit.
Es fiel mir deutlich einfacher die Manie zu beschreiben als die Depression. Vielleicht liegt es daran, weil während einer Depression einfach jeder Tag gleich ist und man sich daher nicht so gut daran erinnert, vielleicht auch weil Gedächtnisprobleme zu den Symptomen gehören können oder weil wir uns einfach nicht an diese furchtbare Zeit erinnern möchten und es deshalb verdrängen. Ich hoffe ich kann euch hiermit einen möglichst nachvollziehbaren Überblick bieten.
Die meisten der beschriebenen Symptome sind sowohl bei einer leichten als auch bei einer mittelgradigen oder schweren Depression vorhanden. Sie unterscheiden sich dabei allerdings sehr stark was die Ausgeprägtheit, die Intensität der Symptome betrifft.
Antriebslosigkeit, Energiemangel und Müdigkeit
Du bist einfach ständig müde. Egal wie viel du schläfst, du wachst niemals ausgeschlafen auf. Ich hätte am liebsten den ganzen Tag geschlafen, einfach um die Depression nicht ertragen zu müssen. Trotz der starken Müdigkeit konnte ich tagsüber aber nicht schlafen, wahrscheinlich weil der Körper ja ausgeschlafen war.
Das nachfolgende ist bestimmt sehr schwierig nachvollzuziehen. Ich hatte nicht den Antrieb und die Energie um vor die Türe zu gehen, etwas aufzuräumen oder mit meinen Kindern zu spielen. Teilweise schälte ich mich erst dann aus dem Bett um auf die Toilette zu gehen als meine Blase schon schmerzte, ich verharrte oftmals in einer unbequemen Position im Bett oder auf der Couch weil mir das Rumdrehen zu anstrengend war. Klingt völlig absurd, ist mir klar, aber genauso war es. Viele, und zwar auffallend viele, die über Depressionen sprechen verwenden das Beispiel vom Duschen bzw. der Körperpflege allgemein. Und, dieses Beispiel finde ich auch sehr treffend. Ich duschte in dieser Zeit deutlich weniger als gewöhnlich und ich musste mich zum Duschen überwinden. Ausziehen, in die Dusche steigen, einseifen, Haare waschen, abtrocknen, anziehen. Das alles waren für mich große ermüdende Aufgaben. Auch das Verfassen eines E-Mails oder auch nur das schnelle Antworten auf das WhatsApp eines Freundes waren für mich oft nicht möglich.
Gefühl der Leere
Alle Menschen haben Dinge für die Sie sich begeistern, interessieren oder die Sie glücklich machen, sei es ein Thema wie Biologie, ein Hobby wie Fußball, eine körperliche Betätigung wie Yoga, etwas kreatives wie malen, spannende Bücher oder auch eine Lieblingsserie. Und alle Menschen haben Ziele, ob persönliche, familiäre, soziale oder geschäftliche. Ihr Kopf ist also voll mit Themen für die Sie sich interessieren, Hobbys die Ihnen Freude bereiten und Zielen auf welche Sie hinarbeiten.
In der Depression ist das alles weg, daher auch der Begriff Gefühl der Leere. Kein Interesse an Nichts, Keine Begeisterung für Nichts, Keine Freude an Nichts und auch keine Ziele für die man sich interessiert. Auf das allerliebste Hobby hat man keine Lust mehr, die Lieblingsfernsehsendung ist uninteressant geworden, all deine Leidenschaften und Interessen sind verflogen. Du probierst diese Dinge, die dir immer Freude bereitet haben natürlich aus, aber Sie geben dir nichts und bedeuten auch nichts mehr für dich. Deine Lieblingsmannschaft steht im Finale, als jahrelanger treuer Fan schaust das Spiel natürlich, aber du hast keine Freude daran und im Gegensatz zur Zeit vor der Depression ist es für dich belanglos wer gewinnt oder verliert.
Verminderte Konzentration, Gedächtnis- und Entscheidungsfindungsprobleme
Die Konzentration lässt stark ab, ob es am Zustand selbst oder den ständig kreisenden Gedanken liegt kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Das Hirn wird gerade bei Kindern oftmals als Schwamm bezeichnet, in diesem Zustand wäre der Vergleich mit einem Stein zutreffender. Informationen gehen in das eine Ohr hinein und direkt zum anderen wieder heraus. Beim Lesen musste ich die Sätze oftmals mehrere Male lesen um Sie zu verstehen und ich erwischte mich immer wieder dabei nach einem Absatz nicht mehr zu wissen was ich eigentlich zuvor gelesen hatte.
Das Gedächtnis will auch nicht mehr so Recht funktionieren. Auch schon während meiner leichten Depression passierte es mir zum Beispiel regelmäßig, dass ich zumeist geschäftlich jemanden anrief und in dem Moment als das Gegenüber das Telefonat entgegennahm nicht mehr wusste wenn ich da überhaupt anrief und weswegen. Es kam auch vor das ich während eines Gespräches, während des Sprechens nicht mehr wusste auf was ich eigentlich hinauswollte. Wenn ich über etwas nachdachte und dabei unterbrochen wurde fiel mir nicht mehr ein über was ich gerade so intensiv nachdacht habe. Noch ein einprägsames Beispiel. Ich war ja damals Autohändler und eines Tages fragte ich meinen Geschäftspartner wem das Auto gehören würde, dass schon seit zwei Wochen auf unserem Hof stand. Er sagte mir verwundert, dass ich dieses Auto ja kürzlich angekauft hatte. Die Erinnerungen waren völlig verschwunden.
Wahrscheinlich aufgrund der Unsicherheit, des mangelndes Selbstbewusstseins sind selbst einfache Entscheidungen sehr, sehr schwierig zu treffen. Wenn ich einen Film für einen gemütlichen Fernsehabend aussuchen sollte, dauerte das nicht selten ein bis zwei Stunden, mit meiner Wahl war ich dennoch nicht zufrieden. Wenn ich vor die Türe ging brauchte ich teilweise eine halbe Stunde um Turnschuhe auszusuchen und brauchte dafür obendrein die Bestätigung meiner Frau. Im Restaurant überforderten mich die Auswahlmöglichkeiten auf der Karte dermaßen, dass ich mich teilweise der Bestellung meines Gegenübers anschloss um mich nicht selbst entscheiden zu müssen.
Sozialer Rückzug und Isolation
Ich war früher ständig unterwegs. Habe mich mit Freunden getroffen oder war auf irgendwelchen geschäftlichen oder privaten Veranstaltungen. Als meine Depression und damit auch meine Rückenschmerzen sowie die ständigen, heftigen Nacken- und Kopfschmerzen begannen zog ich mich so langsam immer mehr zurück. Wenn sich mir die Möglichkeit bot war ich zumeist einer der ersten Gäste, der diese Pflichtveranstaltungen wie ein Geburtstagsfest, eine Hochzeitsfeier oder eine geschäftliche Veranstaltung verließ. Früher hatte ich zumeist großen Spaß an derartigen Veranstaltungen, aber ich konnte einfach nicht lange sitzen ohne höllische Rückenschmerzen zu bekommen und meine Laune war im Keller. Die Nacken- und Kopfschmerzen konnte ich zu Beginn mit Schmerztabletten unterdrücken doch diese brachten bald keine richtige Erleichterung mehr, zudem erschien es mir als sehr ungesund. Ich begann damit meine Schmerzen mit Marihuana weg zu rauchen, was erstaunlich gut funktionierte. Auch meine Laune besserte sich und meinem vollen Kopf wich sprichwörtlich der Druck, aber natürlich nur während des anhaltenden Rausches. Selbstverständlich wurde der Konsum des Marihuanas immer mehr, denn es nahm mir meine Schmerzen und bot mir einen entspannten, halbwegs glücklichen Abend. Es wurde dadurch immer schwerer am sozialen Leben teilzuhaben. Nun verließ ich auch gemeinsame Abende mit meinen besten Freunden früher oder sagte gar nicht erst zu, nur um mich mit meiner vermeintliche Medizin selbst zu betäuben. Auf unseren seit Jahren bestehenden wöchentlichen Männerabend ging ich nicht mehr, auf das Training des Fußballvereins, dessen Obmann ich bin, ging ich nicht mehr. Ich besuchte nur noch Pflichtveranstaltungen und auch nur dann wenn ich keine Ausrede dafür parat hatte, und wenn ich ging war ich sehr schnell wieder zu Hause.
Während der schweren Depression war von sozialen Kontakten außerhalb es engsten Kreises und der eigenen vier Wände gar nicht zu denken.
Anmerkung: Marihuana hat meine Symptome für den Moment gelindert, aber die eigentliche Diagnose hat es nur hinausgezögert. Und eine nicht korrekt behandelte Depression kann sich weiter verschlimmern. Zudem habe ich nach erfolgter Diagnose und Einnahme von Antidepressive weiterhin Marihuana konsumiert, da ich durch den zum Schluss täglichen Konsum süchtig geworden bin.
Mangelndes Selbstbewusstsein & Schuldgefühle
In der Depression entwickeln sich Gefühle wie Wertlosigkeit, übermäßige Schuldgefühle sowie mangelndes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen.
Ich fing damals an alle Eigenschaften, Skills oder Bereiche in denen ich mich selbst stets als überdurchschnittlich oder gar außergewöhnlich gut betrachtet hatte mehr und mehr in Frage zu stellen. Um meine neu gewonnene Unsicherheit wieder loszuwerden versuchte ich meine bisherigen Erfolge, Erlebnisse oder erhaltene Komplimente diesbezüglich im Geiste abzurufen, aber auch dies ließ meine Selbstbewusstsein nicht wieder wachsen.
Mein Selbstwertgefühl war auch viel instabiler und damit empfänglicher für negative Kommentare oder Kritik an meiner Arbeit oder meiner Person. Kommentare denen ich früher nur mit ein lächeln oder Schulterzucken entgegnete konnten mich teils ordentlich beschäftigen.
Wenn ich eine E-Mail verfasst habe musste ich die E-Mail mehrere Male durchlesen um zu kontrollieren ob ich alles richtig geschrieben hatte. Einen IBAN musste ich auch etliche Male kontrollieren bevor ich eine Überweisung durchführen konnte. Wegen meiner Selbstzweifel musste ich teilweise etwas, was ich schon unzählige Male gemacht hatte und daher auch exakt wusste wie es funktioniert, von jemandem anderen überprüfen lassen.
Meine Schuldgefühle waren erdrückend und ich schämte mich auch so sehr, für alles was während meiner direkt vorhergehenden Manie passiert ist. Hauptsächlich war es die Schuld der Manie die mich beschäftigte, aber ich hatte auch Schuldgefühle wegen Ereignissen die sehr lange zurückliegen.
Gefühl der Hoffnungslosigkeit
Menschen mit Depressionen haben oft das Gefühl, dass sich Ihre Situation niemals verbessern wird und Ihr Leiden deswegen ewig andauern wird. Sie können eine tiefe Hoffnungslosigkeit für die Zukunft empfinden die zu Suizidgedanken führen kann.
Ich hatte einen sehr fordernden und stressigen Job sowie den festen Glauben, dass der Laden ohne mich nicht läuft. Daher arbeitete ich viel und war nur vereinzelte Tage im Krankenstand. Öfters wenn ich damals auf der Autobahn unterwegs war kam mir der Gedanke, wie schön wäre das jetzt, ein mittelschwerer Unfall resultierend in vier Wochen Krankenhausaufenthalt. Wie entspannend wäre das, dort könnte ich mich ausruhen, dort kann ich nicht arbeiten. Ein sehr kranker Gedankengang während meiner leichten Depression.
Selbst während meiner schweren Depression hatte ich persönlich aber, entgegen vieler Betroffener, keine Angst davor, dass sich mein Zustand nicht wieder bessern oder normalisieren würde. Ich bin mir sicher das lag daran, dass ich was die Depression betrifft schon sehr gut aufgeklärt war. Durch Bekannte die dieses Schicksal leider teilen und weil Depressionen glücklicherweise mittlerweile halbwegs Salonfähig geworden sind und entsprechend oft thematisiert werden.
Dass die Depression irgendwann verschwinden würde war mir also klar, aber ob ich danach wieder zur alten Form finde, der Alte werde dies stand für mich auf einem anderen Blatt. Mein über dramatisierendes Gedankenkarussell drehte sich also hauptsächlich um meine berufliche, familiäre und persönliche Zukunft.
VORSCHAU
Im nächsten Blog Beitrag „Wie fühlt sich eine Depression an Teil 2“ schreibe ich über die depressiven Symptome Reizbarkeit und Unruhe, körperliche Beschwerden, Schlafstörungen, Appetitveränderungen, Suizidgedanken, sexuelles Desinteresse, Verlangsamte Bewegungen und Sprache. Abschließend werde ich mich mit einem gut gemeinten Appell an euch richten.
VERABSCHIEDUNG
Das Ihr euch informiert ist sehr lobenswert und ein wichtiger Schritt zur Unterstützung eurer Angehörigen in dieser schweren Zeit.
Ich hoffe sehr, dass ich euch einen kleinen Eindruck davon geben konnte was es bedeutet depressiv zu sein.
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.
Comments