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Wie fühlt sich eine Depression an? Teil 2



Herzlich Willkommen bei Horizont Bipolar – Von Betroffenen für Betroffene.


In diesem Blog Beitrag für Angehörige und Interessierte werde ich über die Symptome der Depression schreiben und versuchen, ein möglichst nachvollziehbares Bild der Gedanken- und Gefühlswelt zu vermitteln, basierend auf meinen persönlichen Erfahrungen.


Mein Name ist René, ich bin Bipolar Typ 1. Vielen Dank fürs lesen.


Im letzten Blog Beitrag, „Wie fühlt sich eine Depression an? Teil 1“, habe ich über die depressiven Symptome Antriebslosigkeit, Energiemangel und Müdigkeit, das Gefühl der Leere, Verminderte Konzentration, Gedächtnis- und Entscheidungsfindungsprobleme, sozialer Rückzug und Isolation, mangelndes Selbstbewusstsein & Schuldgefühle und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit geschrieben. 



DIE SYMPTOME UND WIE SIE SICH BEMERKBAR MACHEN


Körperliche Beschwerden und Symptome

Die möglichen körperlichen Beschwerden sind vielfältig. Die häufigsten sind Muskelverspannungen, Rückenschmerzen, Nackenschmerzen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen und Magen-Darm-Beschwerden.


Meine leichte Depression äußerte sich zunächst beinahe nur körperlich mit sehr häufigen Rücken-, Nacken- und Kopfschmerzen. Die gedrückte Stimmung und den verminderten Antrieb schob ich auf die ständigen Kopfschmerzen, sodass ich eine Depression gar nicht auf dem Schirm hatte. Es folgte ein Marathon an Besuchen bei verschiedensten Ärzten und Physiotherapeuten. Ich habe alle Möglichkeiten ausgeschöpft, ließ jedes Blutbild machen, lag in jeder Röhre, kaufte orthopädische Büromöbel, eine neue Matratze, ergonomisches Computerzubehör für meine Arbeit,  aß verschiedenste Nahrungsergänzungsmittel, ließ eine teure Zahnschiene sowie eine neue Brille anfertigen, natürlich half nichts. Zwei Jahre nach Beginn dieser Odyssee erhielt ich die Diagnose Depression. Durch die Einnahme von Antidepressiva wurden die körperlichen Symptome gleich deutlich gemildert, was die Diagnose für mich bestätigte.


Diese körperlichen Beschwerden waren in meinem Fall während meiner leichten Depression stärker ausgeprägt als während meiner schweren Depression. Da spürte ich von den üblichen körperlichen Beschwerden nur teilweise Verspannungen und Rückenschmerzen.

 

Schlafstörungen

Während einer Depression können Schlafstörungen in unterschiedlichen Formen auftreten. Dabei kann es sich um Einschlaf-Schwierigkeiten handeln, aufgrund von quälenden Gedanken oder innerer Unruhe. Andere können Einschlafen, wachen aber mitten in der Nacht auf und haben dann Mühe wieder einzuschlafen. Und es gibt auch Fälle in welchen die Betroffenen übermäßig viel schlafen. In jedem Fall ist es wichtig die Schlafstörung ernst zu nehmen, Sie mit dem behandelnden Arzt zu besprechen und etwas dagegen zu tun. Sei es durch eine mögliche Veränderung im Lebensstil oder durch entsprechende Medikamente.


Ich selbst hatte große Schwierigkeiten beim Einschlafen, zu Beginn der schweren Depression benötigte ich mehrere Stunden um Einschlafen zu können. Dass du während der Depression am liebsten sowieso nur schlafen würdest um deinen negativen Gedanken und deinem Zustand entfliehen zu können, macht diese Einschlafproblematik noch schlimmer.


Mit koffeinhaltigen Getränken hatte ich nie Schwierigkeiten, ich konnte ein Red Bull vor dem Schlafengehen trinken und spürte keinerlei Auswirkung. Während dieser Zeit strich ich aber den Kaffee am Nachmittag und die Cola am Abend. Es funktionierte besser, es dauerte immer noch unangenehm lange, aber es ist durch diese Änderung deutlich besser geworden. Mein Psychiater gab mir dann zusätzlich noch leichte Beruhigungsmittel die mir beim Einschlafen helfen sollten. Meine kleine Umstellung mit koffeinhaltigen Getränken und die Einnahme der leichten Beruhigungsmittel bei Bedarf gaben mir wieder einen relativ normalen Schlafrhythmus zurück.

 

Reizbarkeit und Unruhe

Während einer Depression können Betroffene übermäßig empfindlich auf kleinste Störungen reagieren.


Ich selbst war noch nie aufbrausend und kann aus eigener Erfahrung auch nicht so viel über eine erhöhte Reizbarbarkeit erzählen. Außer vielleicht, dass mich diese natürlich gut gemeinten Fragen zu meinem Zustand oder die hoffnungsvollen Floskeln extrem genervt haben. Wie geht’s dir heute? Du musst positiv denken? Du hast doch alles? Geh mal wieder unter Leute? Usw.


Bei einem guten Freund von mir war dieses Symptom ausgeprägter. Selbst durch Nichtigkeiten stieg die Wut in ihm hoch. Wenn etwas nicht so lief wie er es gerne hätte, wenn jemand etwas anders machte als er es sich vorstellte und selbst wenn jemand zu laut, zu schnell oder zu viel redetet schoss sein Puls auf 180.


Eine Zeit lang hatte ich eine derart schlimme Unruhe, dass ich trotz meiner Energielosigkeit und Müdigkeit nicht lange sitzen oder liegen konnte. Ich legte mich damals aufs Sofa, nach 5 Minuten setzte ich mich auf, nach weiteren 5 Minuten legte ich mich ins Bett, 5 Minuten später stand ich wieder auf und legte mich auf den Fließen Boden im Badezimmer, nach 5 Minuten lies ich mir eine Badewanne einlaufen, nach 5 Minuten in der Badewanne trocknete ich mich wieder ab und setzte mich für 5 Minuten an den PC. So in etwa verliefen die Tage zu dieser Zeit.


Was ich auch als Unruhe bezeichnen würde ist die Zeitdehnung die ich wahrgenommen habe. Mir kamen sprichwörtlich Minuten wie Stunden vor. Über jede Viertelstunde des Tages die ich abhaken konnte freute ich mich. Die Tagen wollten nicht enden und schlafen konnte ich tagsüber einfach nicht. Jeden Morgen nach dem Aufstehen freute ich mich nur darauf wieder schlafen zu gehen. Den depressiven Zustand zu erleben und zu fühlen ist schrecklich. Deshalb würde man auch am liebsten ständig schlafen oder gar nicht erst existieren, nur um es nicht länger ertragen zu müssen. Wenn sich die Tage dann noch zusätzlich, gefühlt um das x-fache, in die Länge ziehen ist das zermürbend.

 

Appetitveränderungen

Während einer Depression können Appetitveränderungen auftreten die sich in unterschiedliche Richtungen manifestieren können. Einige Menschen erleben einen verminderten Appetit, die Nahrungsaufnahme wird als lästige Pflicht wahrgenommen. Für andere Menschen ist das Essen ein Bewältigungsmechanismus, bei dem das Essen als Trost oder Ablenkung dient.


Für mich war Essen schon immer sehr wichtig. Der Genuss eines guten Essens bedeutete für mich pure Freude. Während der Depression hatte ich allerdings keinen Appetit. Ich aß nicht wenn ich hungrig war und auch nicht wenn ich Lust auf etwas hatte, weil das schlicht nie Fall der war. Ich aß nur dann wenn mein leerer Magen knurrte oder schmerzte. Ich erinnere mich an einen Moment an welchem ich wieder mal dringend etwas Essen sollte. Darum kochte mir meine Göttergattin dankenswerterweise spätabends meine Leibspeise, Lauchstrudel. Ich wollte nicht zuletzt wegen der Mühe die Sie hatte eine möglichst große Portion verdrücken. Aber ich bekam nicht mehr als vielleicht drei Bissen herunter.


Ein guter Freund von mir hingegen, der wegen seiner Gesundheit und Eitelkeit Süßigkeiten und Chips normalerweise boykottierte, hat in der Depression genau diese Dinge maßlos gefuttert. Er wollte sich irgendwie gut fühlen, einen Hauch von Freude spüren. Seine Gesundheit oder auch sein Aussehen, welches für Ihn einen hohen Stellenwert hat, waren im während der Depression vollkommen egal.

 

Suizidgedanken

Suizidgedanken werden wie folgt unterschieden.


Es gibt passive Suizidgedanken in welchen der Betroffene darüber nachdenkt, dass er nicht mehr leben möchte oder es besser wäre tot zu sein. Bei aktiven Suizidgedanken hat der Betroffene bereits konkrete Gedanken oder Pläne wie er sich das Leben nehmen möchte. Suizidale Absichten gehen über die Gedanken hinaus und beinhalten konkrete Absichten und Pläne, sich das Leben zu nehmen bei welchen der Betroffene möglicherweise bereits Maßnahmen getroffen um den Plan zu verwirklichen. Im Stadium der suizidalen Handlungen hat der Betroffene möglicherweise eine Suizidversuch unternommen oder Handlungen unternommen um sich selbst zu Schaden.


Aktive Suizidgedanken hatte ich nur genau ein einziges Mal. Ich lag in meinem Bett und hatte mit einer Panikattacke zu Kämpfen. Mein Herz raste, ich konnte nicht atmen und dachte ich muss sterben. Diese Panikattacke dauerte eine gefühlte Ewigkeit und ich hielt es schier nicht mehr aus. Während dieser Zeit drängten sich die Suizidgedanken auf. Ich drückte diese furchtbaren Gedanken weg und versuchte an etwas Schönes zu Denken. Doch die Gedanken kamen immer und immer wieder. Mein Verstand zwang mich geradezu meinen Suizid zu durchdenken. Ich rief nach meiner Frau und sagte Ihr, dass wenn ich Sie nochmals rufen sollte Sie umgehend einen Krankenwagen zur die Psychiatrie rufen soll. Ich wollte nämlich nicht sterben, auch wenn mein Verstand es für die beste Option hielt. Glücklicherweise verflogen die Gedanken mit dem abflachen der Panikattacke wieder.


Bei Suizidgedanken ist es wichtig, sofort professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

 

Sexuelles Desinteresse

Eine Depression kann sich sowohl auf das sexuelle Verlangen als auch auf die sexuelle Funktion auswirken. Die Auswirkungen können sowohl vermindertes sexuelles Verlangen oder auch Vergnügen sein als auch Erektions- und Orgasmus Störungen.


Während meiner schweren Depression hatte ich keinerlei sexuelles Verlangen, ich hatte weder Sex noch hatte ich masturbiert. Mit der stufenweisen Besserung meines depressiven Zustands kam auch das sexuelle Verlangen immer mehr und mehr wieder zurück.

 

Verlangsamte Bewegungen und Sprache

Die Verlangsamung der Bewegungen und der Sprache ist ein häufiges Merkmal von Depressionen. Mir selbst fiel nicht auf, dass ich langsamer sprach. Wenn ich aber telefonierte fiel es, nicht nur meinen Angehörigen oder sehr guten Freunden, sofort auf das was nicht stimmte. Die verlangsamten Bewegungen führte ich auf die fehlende Energie zurück, denn selbst kleineste Bewegungen waren mit großer Anstrengung verbunden.



MEIN APELL


Eine Depression kann jeden betreffen! Sie wird drei Stufen unterteilt, die leichte, die mittelgradige und die schwere Depression. Das bei bipolaren Menschen eine schwere Depression direkt nach einer Manie folgt ist es keine Seltenheit. Bei nicht bipolaren Menschen kann es mit einer leichten Depression beginnen die sich immer weiter steigern kann, es kann aber auch direkt eine schwere Depression entstehen.


Etwa 6 Jahre vor der Diagnose, der bipolaren Störung, entwickelte sich bei mir eine leichte Depression. Und wie die meisten Menschen konnte ich die willkürlichen Symptome, bisschen wenig Energie, bisschen schlechter drauf, Nacken- und Kopfschmerzen, usw. nicht zuordnen. Ein Marathon zu Ärzten der verschiedensten Bereiche begann. Zwischendurch dachte ich schon Mal an Burnout, schließlich hatte ich einen sehr fordernden und stressigen Job. Ich machte sogar online Burnout Selbsttests, die natürlich positiv ausfielen aber dennoch wollte ich es nicht glauben. Glücklicherweise kam ein sehr unschönes Symptom, die Gehörempfindlichkeit hinzu, was mich veranlasste wieder zu meiner Hausärztin zu gehen, die mir dann eine Zwangspause und die nötigen Antidepressive verschrieb. Dieselbe Ärztin hatte mir gleich zu Beginn meiner Depression bereits gesagt, dass Sie ein Burnout bzw. eine Depression vermutet. Aber ich habe es nicht geglaubt.


Aber warum erzähle ich das Alles. Was ist der Apell. Für mich war die leichte Depression schlimm. Die fehlende Energie, der soziale Rückzug, die körperlichen Schmerzen und die Lustlosigkeit. Aber eine leichte Depression im Vergleich zu einer schweren Depression ist ein himmelweiter Unterschied. Wenn die leichte Depression ein nerviges, aggressives Kind auf einem Bobby Car ist, das dir immer wieder gegen dein Schienbein fährt. Dann ist die schwere Depression ein Zug der dich überrollt. Und, tragischer Weise endet die Depression teilweise so. Ich selbst dachte auch, ich halte das aus, scherzte bei Freunden sogar, dass ich ein bisschen Burnout habe. Und ich dachte ich muss beruflich weiterhin 150% geben. Aber die Konsequenz müsst Ihr nicht selbst erleben und glaubt mir Ihr wollt das nicht selbst erleben. Ihr könnt es mir einfach glauben. Lasst es bitte nicht soweit kommen.

 


VERABSCHIEDUNG

 

Es ist sehr lobenswert und ein wichtiger Schritt zur Unterstützung eurer Angehörigen in dieser schweren Zeit.

 

Ich hoffe sehr, dass ich euch einen kleinen Eindruck davon geben konnte was es bedeutet depressiv zu sein.

 

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.

 

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