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Wie fühlt sich eine Manie an? Teil 2



Herzlich Willkommen bei Horizont Bipolar – Von Betroffenen für Betroffene.


In diesem Blog Beitrag für Angehörige und Interessierte werde ich die Symptome der Manie beschreiben und versuchen, ein möglichst nachvollziehbares Bild der Gedanken- und Gefühlswelt zu vermitteln, basierend auf meinen persönlichen Erfahrungen.


Mein Name ist René, ich bin Bipolar Typ 1. Vielen Dank fürs lesen.


Im letzten Blog Beitrag, „Wie fühlt sich eine Manie an? Teil 1“, habe ich bereits über die Symptome gesteigerte Energie und Aktivität, das Gefühl von Euphorie, den verminderten Schlafbedarf oder die Schlaflosigkeit, das übersteigerte Selbstbewusstsein bis hin zu Größenideen und die Gesteigerte Leistungsfähigkeit und Kreativität geschrieben.

 


DIE SYMPTOME UND WIE SIE SICH BEMERKBAR MACHEN

 

Reizbarkeit und aggressives Verhalten

Reizbarkeit oder aggressives Verhalten war bei mir glücklicherweise kein Thema. Ich kann den Punkt allerdings nachvollziehen. Wenn dir Angehörige in der glückseligsten Zeit die du jemals erlebt hast immer wieder mitteilen das Sie sich Sorgen um dich machen, oder dich zum Arzt oder gar in die Klink schicken möchten. Dann kann ich mir gut vorstellen, dass irgendwann die Wut ausbricht. Oder wenn du mit einem anderen Menschen diskutierst oder dein Chef dir gegenüber Kritik äußert und du selber aber weißt, dass du viel besser oder schlauer als dein Gegenüber bist, dann ist ein Konflikt natürlich vorprogrammiert.

 

Rasende Gedanken & Gedankensprünge

Die Gedankenflut im Gehirn ist unglaublich. Wenn man über etwas nachdenkt, denkt man intensiv und tief darüber nach. Alles wird im Hirn bis in das kleinste Detail durchgedacht. Und immer wieder kommen weitere Aspekte zu diesen Gedanken hinzu die auch berücksichtigt werden sollten. Eine meiner Ideen war es zum Beispiel Motivations-Speaker zu werden. Ich dachte über das Programm das ich machen wollte nach, dann der Gedanke wie die Werbemittel aussehen sollten, welche Werbebotschaft diese beinhalten sollte, wie ich mich auf dem Plakat selbst präsentieren wollte, Haare verändern, Auffälliger werden, vielleicht Tätowierungen, welche Tätowierungen, in welcher Halle werde ich mein Speaking abhalten, wie wird die Halle dekoriert, wie kann ich die Gäste für weitere Aufritte an mich binden usw. Es war mir nicht möglich dies strukturiert anzugehen, wenn ich mich um den einen Punkt der Agenda kümmern wollte sprang ich zwangsläufig zu einem Anderen. Als ich mir, nach der Manie, die Aufzeichnungen durchlas und vor allem als ich mir die Audiodateien anhörte konnte ich es selbst nicht verstehen. Die Sprünge von einem zum anderen Thema und wieder zurück waren extrem verwirrend. Um es verstehen zu können musste ich das gesprochene abtippen und dann die unterschiedlichen Absätze an die jeweils richtige Stelle sortieren. Und überraschender Weise waren die einzelnen Punkte bis ins kleineste Detail durchdacht und ausgearbeitet.

 

Rededrang und Redegeschwindigkeit

Am letzten Tag, Stunden, vor meiner Einweisung habe ich mir den Mund mit Panzertape zugeklebt. Ich hatte unendlich viele Gedanken, mein Gehirn arbeitete so schnell wie nie. In einem Gespräch hatte ich immer in Sekundenschnelle eine passende Antwort und ich konnte auch zu jedem Thema etwas sagen. Wenn du viele Gedanken hast, also viele Sachen die dich beschäftigen, dann hast du auch viel zu erzählen. Zudem hatte ich auf jedes Problem die passende Antwort. Ab einem Zeitpunkt der Manie redete ich mich immer in einen Rausch, ich konnte nicht aufhören. Was eine kurze Sprachnachricht werden sollte, dauerte vierzig Minuten, weil mir immer noch etwas hierzu einfiel. Mit einem alten Freund aus Deutschland war ich in einem sehr noblen Restaurant zum Essen verabredet. Mein Freund bestellte für uns immer zwei weitere alkoholische Getränke wenn er seines ausgetrunken hatte. Ich konnte nicht aufhören zu reden. Nach bestimmt zwei Stunden hatte ich vielleicht zwei Bissen gegessen und neben mir reihten sich sechs unterschiedliche Getränke. Einen Tag später besuchten mich meine zwei besten Freunde die sich bereits, wie alle anderen, Sorgen um mich machten. Wieder konnte ich nicht aufhören zu reden, mein Körper war schon am Limit, mein Herz pochte wie wild. Ich wusste ich musste aufhören zu reden und auch meine Freunde baten mich still zu sein. Ich versuchte es, aber Sie waren ja gekommen um mir zu helfen und so stellten Sie mir zwangsläufig Fragen auf die ich nicht kurz und konkret antworten konnte. Ich verrannte mich gedanklich und es sprudelte nur so aus mir heraus. Durch meine Gedankensprünge und die Redegeschwindigkeit konnten Sie auch dem Kontext oftmals nicht folgen. Wie zu Beginn erwähnt klebte ich dann wenige Stunden vor meiner Einweisung meinen Mund mit Panzertape zu, was natürlich sehr verstörend und verrückt auf meine Angehörigen wirkte.

 

Konzentrations- und Gedächtnisprobleme

Von Konzentrationsproblemen habe ich selbst bis auf die letzten Tage vor meiner Einweisung nicht viel wahrgenommen. Drei Tage vor meiner Einweisung hatte ich mir einen Urlaubstag gegönnt um einen Freund in Deutschland besuchen. Ich führte damals ein Autohaus und war zuvor jahrelang Autoverkäufer. Ich fuhr morgen los und direkt zur Tankstelle. Der Tankdeckel ging nicht auf, ich drückte und rüttelte, er war kaputt. Ich fuhr zu unserem Autohaus und bat einen unserer Mechaniker dies zu reparieren. Nach kurzer Zeit winkte er mich ungläubig zu sich, zeigte und drückte den Knopf für die elektrische Entriegelung im inneren des Fahrzeugs. Was bin ich für ein Idiot, dachte ich. Wie oft ich diesen Knopf schon selbst gedrückt hatte. Ich wusste es, aber in diesem Moment war es wie weggeblasen. Als ich die für mich bekannte Strecke zu meinem Freund aus Bequemlichkeit mit Navi fuhr brauchte ich viel länger als gewöhnlich. Ich verfuhr mich trotz Navigationssystem drei Mal und teilweise fiel es mir erst sehr spät auf weil ich so in Gedanken versunken war. In meinem damaligen, stark übermüdeten Zustand war es lebensgefährlich Auto zu fahren.

Zum Gedächtnis, ich kann mich nicht an alles erinnern was in der Manie passiert ist. Mir wurden Ereignisse geschildert und Sachen die ich gemacht haben soll die mich erschrecken, für mich absolut nicht nachvollziehbar sind und von denen ich überhaupt nichts mehr weiß. In der Depression die nach meiner Manie folgte hat mich dies auch sehr beschäftigt. Wenn ich eine Person auf irgendeine Art und Weise verletzt habe konnte ich mich dafür entschuldigen, versuchen es gerade zu rücken. Aber wenn man keine Kenntnis darüber hat ist dies nicht möglich. Es ist ein sehr unangenehmes Gefühl.


Erhöhter Sexualtrieb und Enthemmtheit

Ziemlich zu Beginn meiner Manie war ich nach unserer Weihnachtsfeier in einer Bar. Vermutlich aufgrund meiner positiven Ausstrahlung und meines Selbstbewusstsein wurde ich so oft an geflirtet wie nie zuvor in meinem Leben. Einer bildhübschen jungen Frau hatte ich es besonders angetan. Wir unterhielten uns und als das Gespräch in eine sehr eindeutige Richtung ging sagte ich das ich verheiratet bin, Ihre Antwort war, Glücklich? Sie war sehr hübsch und es wäre wohl zu einer intimen Zweisamkeit gekommen. Aber ich bin noch nie fremdgegangen und das würde ich auch nie. Zum einen möchte ich meine Familie nicht aufs Spiel setzten, zum anderen hat meine Frau das nicht verdient und umgekehrt möchte ich das auch nicht erdulden müssen. Das war mein fester Glaubenssatz, dies sollte sich aber noch ändern. Mit fortschreitender Manie wurde mein Sexualtrieb immer stärker. Meine Frau und ich schliefen deutlich öfters miteinander als normalerweise und wahrscheinlich auch öfters als Ihr lieb war. In den letzten Tagen vor der Klinikeinweisung war mein Sexualtrieb so stark, dass ich meiner Frau fremdgegangen wäre, wenn sich mir die Gelegenheit geboten hätte, dies war aber glücklicherweise nicht der Fall.


Als die Polizei und die Rettung bei mir wegen der Klinikeinweisung aufschlugen war ich natürlich nicht sonderlich erfreut und kooperativ. Mein bester Freund, der die Einsatzkräfte gerufen hatte und auch vor Ort war gab mir aber den Hinweis, dass dies zum Plan gehört. In meinem überhitzten Hirn reimte ich mir innerhalb von Sekunden etwas zusammen. Klar, dass macht er damit ich einen guten Grund habe um krankgeschrieben zu werden, damit ich an meinem Projekt weiterarbeiten kann, der schlaue Fuchs. Aber dann müssen Sie es mir auch abkaufen. Ich stand auf, entblößte mich und sagte den Rettungskräften und Polizistinnen dass ich abfahrtbereit wäre.

 

Impulsives Verhalten

Wenn du ein derart hohes Selbstvertrauen hast, das du glaubst, nein weißt, dass du der schlaueste, kreativste, charismatische oder gutherzigste Mensch bist, dann bekommt Geld eine ganz andere Bedeutung. Ich hatte die letzten Tage gefühlt so viele Geschäftsideen aufgeschrieben, dass es reichen würde um Milliarden zu verdienen, warum also nicht etwas Spaß mit dem bisschen Geld auf dem Konto haben. Ich dachte, dass ich Geld zu jedem Zeitpunkt kurzfristig beschaffen könnte. Als ich ein Geschäftsmodell ausgearbeitet hatte das ich angehen wollte, wusste ich bereits welche drei Leute aus meinem Umfeld ich für dieses Projekt rekrutieren würde. Da ich von allen dreien die Bankverbindung hatte überwies ich Ihnen jeweils € 10.000,- als Vorschuss, ohne dass ich Sie zuvor über das Projekt oder die Überweisung informiert habe. Glücklicherweise waren dies allesamt gute Freunde die mir den Betrag umgehend rücküberwiesen haben. Auch ein Porsche hatte es mir angetan, ich habe mir online einige angeschaut zum Kauf kam es glücklicherweise nicht mehr.               

 

Wahnvorstellungen, Halluzinationen, psychotische Symptome

Während einer Manie kann es auch zu Wahnvorstellungen und psychotischen Symptomen, sehr selten auch Halluzinationen kommen. Betroffene können Größenwahn entwickeln, Paranoia erleben oder Dinge sehen oder hören die nicht real sind.


Meine Manie hatte zum Ende hin auf jeden Fall psychotische Züge. Gegenüber anderen habe ich mich mit Elon Musk und Jesus verglichen. Und, ich habe für mich selbst eine neue Realität geschaffen ich welcher Geld keine Rolle mehr spielt. Denn künftig würde ich nicht mehr für Geld arbeiten, sondern für Gefälligkeiten. Und, wenn ein Unternehmen mich will, muss Sie für meine Unterkunft und sonstigen Annehmlichkeiten bezahlen und mich verwöhnen, weil ich ja eine der beeindrucktesten Persönlichkeiten des Jahrhunderts bin.

 


VORSCHAU

 

Im nächsten Blog Beitrag „Wie fühlt sich eine Depression an? Teil 1“ schreibe ich über die depressiven Symptome Antriebslosigkeit, Energiemangel und Müdigkeit, das Gefühl der Leere, Verminderte Konzentration, Gedächtnis- und Entscheidungsfindungsprobleme, sozialer Rückzug und Isolation, mangelndes Selbstbewusstsein & Schuldgefühle und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit

 


VERABSCHIEDUNG

 

Das Ihr euch informiert ist sehr lobenswert und ein wichtiger Schritt zur Unterstützung eurer Angehörigen in dieser schweren Zeit.

 

Ich hoffe sehr, dass ich euch einen kleinen Eindruck davon geben konnte was es bedeutet manisch zu sein.

 

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.

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